GROMA-Projektidee
 
 
GROMA IM RHEINAUHAFEN
ESSAY VON KLAUS SCHÖNING
ZUR ERÖFFNUNG DER KLANGINSTALLATION
AM 13. MAI 2008

Die urbane Klanginstallation GROMA, die von dem in Köln lebenden Medienkünstler Michael Scholz als Initiator und künstlerischem Leiter realisiert wurde zusammen mit Judith Nordbrock, Tonmeisterin und Klangkonzept und Martin Rumori, Klangkonzept und Programmierung – beide vom Sounddepartment der Kunsthochschule für Medien in Köln – ist eingebunden in die aktuelle Entwicklung der Medienkünste und ihrer Korrespondenz zur Gestaltung im öffentlichen Raum. Sie steht in der Tradition einer lebendigen mehrmedialen Szene der installativen und akustischen Kunst in der Musik-Stadt Köln.

Ihre ästhetischen Positionen gründen auf Genregrenzen überschreitenden, intermedialen Tendenzen und einem avancierten elektro- akustischen Instrumentarium. Ihre Realisationen werden nicht für den klassischen Theater- oder Konzertsaal entwickelt, sondern in zeitbegrenzten HörStücken und Kompositionen für den ortlosen Raum des Radios oder - wie hier - in Installationen einer audiovisuellen Klangkunst, zeitlich indeterminiert und auf spezifische Räume und sichtbare Umgebungen bezogen.

Eine der zahlreichen Besonderheiten des Groma-Projekts, als einem der bisher noch wenigen permanenten akustischen Installationen in der Stadt liegt darin, dass es weitsichtig als integraler Bestandteilteil für ein noch im Bau befindliches urbanes, architektonisches Großprojekt im Kölner Rheinauhafen in Auftrag gegeben worden ist.

Akustische, installative Kunst in kommunizierender Begegnung mit der arte architectura - dies allerdings in einer wenig spektakulären, dafür jedoch Tag und Nacht überaus frequentierten lokalen Räumlichkeit den gläsernen Parkaufgängen der längsten Tiefgarage der Metropolis Köln, womöglich Europas.

Die urbanen Garagen, Abstellplätze für Automobile - ein zivilisatorisches Phänomen und Problem, das die Architektur der heutigen Städte seit einem Jahrhundert im Vergleich zu denen in den Jahrtausenden zuvor wesentlich verändert hat und Stadtverwaltungen und Baukünstler immer wieder aufs neue innovativ herausfordert.

Diese vorgegebene, Ort spezifische Situation war für die permanente Installation und ihr Entstehen unterhalb eines architektonisch gänzlich neu gestalteten StadtAreals im Kölner Rheinauhafen - vormals Jahrhunderte lang ein überaus belebter Umschlagplatz für den regen Warenhandel der Hansestadt Köln -künstlerischer Anlass und thematisches Motiv, die das Konzept dieses Groma-Projekts – als einem work in progress – während seiner nahezu dreijährigen Arbeit wesentlich bestimmt hat.

Groma – schon der Titel dieser urbanen Klang-Installation deutet auf den historischen Bezug zu Baukunst und Städteplanung:
Groma ist die Bezeichnung für ein römisches Vermessungs-Instrument das für die Standortbestimmung von Feldlagern und beim Bau von urbanen Einrichtungen eingesetzt wurde. Darüber hinaus wurde der Begriff zu einem Synonym für zivilisatorische Ordnungsleistungen, die mit der Gründung von Städten verbunden waren. Wahrscheinlich wurde damit auch die Nord - Süd Hauptachse der Colonia Agrippina - als einer römischen Stadtgründung - mit der heutigen Schildergasse und die West - Ost Hauptachse mit der Hohe Straße in Köln so vermessen.

"Der Titel meiner Arbeit", schreibt der Medienkünstler Michael Scholz, "verweist auf diese in dem Gerät eingeschriebene universelle Matrix des Strukturierens hin."

Die intensive, vorbereitende Beschäftigung des Künstlers mit der urbanen Genese architektonischer und städtebaulicher Phänomene im Laufe ihrer Jahrtausende alten Geschichte und ihren kulturellen, wirtschaftlichen und das zivilisatorische Gemeinwohl einer Stadt betreffenden Korrespondenzen führten zunächst zu einer umfangreichen, historischen Text-Recherche, die inhaltlich und künstlerisch den sprachlichen Materialkomplex der Klangkomposition bestimmte.

Die ausgewählten Texte – gesprochen von Sigrid Bode und Traugott Buhre – basieren auf Überlieferungen aus einem Zeitraum vom 4. Jahrhundert vor und bis zum 3. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung vor allem aus dem antiken Griechenland und aus dem Römischen Imperium - wie die 10 Bücher über Architektur (De architectura libri decem), des genialen Architekten und Ingenieurs Vitruv, die er zur Zeit des Kaisers Augustus schrieb.

Diese schriftlichen Fundstücke bilden einen – gleichsam über die Jahrhunderte hinweg – subkutanen, fiktiven Gedankenaustausch zahlreicher Autoren, Philosophen, Geschichtsschreiber, die die vielfältigen Aspekte der Urbanität beschreiben, reflektieren und in Fragmenten in Erinnerung rufen.

Gänzlich unaufdringlich vergegenwärtigt das Groma-Projekt die Thematik der Urbanität in diesen sorgfältig recherchierten Beschreibungen und Zeugnissen aus der Geschichte urbanen Lebens und Überlebens, sowie den architektonischen Konkretionen und Visionen, die bei aller Unterschiedlichkeit historischer, topografischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten bis heute ähnliche Bedürfnisse und verwandte Vorstellungen erkennen lassen.

Einer archäologischen Grabung vergleichbar, die in die Schichten unter der Jahrtausende alten Stadt Köln vordringt und auf Fundstücke, Fragmente zuvor existierender Städte stößt, unternimmt Groma eine ungewöhnliche akustische Reise in die Tiefenschichten eines nicht linearen, multiperspektivischen urbanen Bewusstseins.

Neben der textsprachlichen Ebene wird die virtuelle Komposition wesentlich durch ein zweites Hauptmotiv: einem nonverbalen, aus Geräuschen und Klängen realisierten Montage- Komplex strukturiert. Auch dieser ist bezogen auf die urbane Grundthematik der Groma-Installation: der Einbindung von Partner-Städten von Köln in das Projekt durch die Vergegenwärtigung ihres akustischen Ambientes: die beiden Partnerstädte an den nachbarschaftlichen Grenzen von NRW - Lüttich/Liège in Belgien und Rotterdam in den Niederlanden.

Eine kompositorische Idee, zugleich eine freundschaftliche, einladende Geste – eine Stadt akustisch zu Gast in einer anderen.

Eine mir sehr vertraute Vorstellung als langjähriger Leiter des Studio Akustische Kunst des WDR und Produzent zahlreicher Klanglandschaften und Metropolis- Kompositionen internationaler Klangkünstler, die wir weltweit auch als urbane Installationen vorgestellt haben.

So etwa realisierten wir mit Bill Fontana 1985 und 1990 als bimediale Medienereignisse im Radio und simultan als mehrtägige Lautsprecher-Installationen auf dem Roncalli- Platz vor dem Kölner Dom und dem Platz vor dem Museum Ludwig die ersten beiden interkontinentalen Metropolis- Satelliten-Klangbrücken in der Geschichte des Radios: Köln - San Francisco und Köln - Kyoto, die Jahrtausende alte, ehemalige japanische Kaiser- und Tempel- Stadt, zugleich auch eine der Partnerstädte der Rheinmetropole. Realisiert als eine Co-Operation des Studio Akustische Kunst mit dem Kulturamt der Stadt Köln, den Goethe-Instituten in San Francisco und Kyoto und dem Museum Ludwig.

Die Einbindung von Partnerstädten der Metropolis Köln in das Groma - Projekt im Rheinauhafen mit ihrem jeweiligen variantenreichen, urbanen Klang- und Geräusch-Ambiente erweitert, versinnlicht und vertieft die internationalen Vernetzungen der HafenStadt und macht sie erneut zur Initiatorin eines vielfältigen, kulturellen Brückenschlags im global village.

Die künstlerischen und technischen Dimensionen des überaus komplexen Produktionsvorhabens, über das Michael Scholz eine informative webside ins Netz gestellt hat, lassen sich von mir an dieser Stelle nur stichwortartig andeuten.

Für ein medienkünstlerisches Seminar allerdings an der Kunsthochschule für Medien Köln könnte das Groma- Projekt Anlass sein für ein aufschlussreiches, intermediales Forschungsobjekt, zumal in den letzten Jahren hier zunehmend Werke der installativen, audio-visuellen Klangkunst - besonders auch im urbanen Umfeld der Stadt Köln - von jungen Künstlerinnen und Künstlern realisiert worden sind.

Das Team des Groma - Projekts arbeitete in allen Phasen gemeinsam an der ebenso umfänglichen Partitur wie der überaus diffizilen Ausführung der Produktion. Für das Projekt- Management zeichnete Astrid Lutz verantwortlich.

Zunächst wurden extensive Tonaufnahmen in Rotterdam und Lüttich gemacht, an Örtlichkeiten, die nach bestimmten urbanen Bereichen ausgewählt wurden, wie der private und der öffentliche Raum, der kulturelle Raum, der politische Raum, der Wirtschaftsraum oder der Naturraum der jeweiligen Partnerstadt.

Die zahlreichen stereofonen Originalton-Aufnahmen dieser urbanen Felder bilden – nach ihrer Bearbeitung im Studio in der KHM - ein umfängliches Repertoire aus Geräuschsequenzen, eigens komponierten Klangmodulen und Soundscape- ähnlichen Trajekten, in jeweils unterschiedlicher Länge. Sie werden in die permanente Performance im Kontext ihrer inhaltlichen Bezüge zu den antiken Texten in die jeweilige Lautsprecher- Installation der beiden Partnerstädte – Lüttich oder Rotterdam – eingespielt.

Sprach - und Klangsequenzen wechseln sich auf diese Weise in den beiden Garagen-Treppenhäusern alternativ ab, d.h. – vereinfacht gesagt – dass während im Garagen-Treppenhaus Rotterdam eine Textsequenz zu hören ist, wird im Treppenhaus Lüttich eine der zur aleatorischen Auswahl stehenden Geräuschsequenzen der belgischen Stadt zu hören sein.

"Der kompositorische Einsatz des Zufalls erzeugt die Option, die Modellgrenzen zu überschreiten", schreibt Michael Scholz – ein Hinweis auf die durch Zufallsoperationen eintretenden Unbestimmtheiten innerhalb vorgegebener Strukturen. Indeterminacy.

Durch die produktive Einbeziehung avancierter, digital gesteuerter Techniken vergegenwärtigt die Installation in einem offenen, experimentellen, elektro-akustischen Modellraum einen sich permanent selbst generierenden Realisationsprozess fließender Klangereignisse und Informationen, deren Abfolge sich nicht wiederholt – einem akustischen Malstrom gleich, ohne Anfang und Ende.

Fluctuat nec mergitur – heißt der Sinnspruch im Wappen einer anderen
europäischen Metropole: der Stadt Paris oder wie Ovid es in seinen Metamorphosen
ausdrückt: omnia mutantur - nihil interit - alles verwandelt sich, nichts geht unter."
– riverrun – (‚Finnegans Wake’, James Joyce)

Die Situation bei der Rezeption des Groma-Projekts erscheint ungewöhnlich:
Die Treppenhäuser der Tiefgarage im Rheinauhafen sind keine Aufenthaltsorte, sondern Passagen zwischen dem geräuscharmen, Licht durchfluteten Underground der abgestellten Fahrzeuge unterhalb der Stadt und dem urbanen Geschehen oberhalb. In diesem in between, wird auf dem Weg von oder zu den Automobilen der Durchgangsort der Treppenhäuser zweimal für kurze Zeit zum Aufführungsort gleichsam, zum potentiellen HörRaum der Klanginstallation. Diese äußerste Form räumlicher Reduktion entspricht der Flüchtigkeit der zeitlichen Situation der Rezeption.

Sie entspricht dabei auch der Wahrnehmung der offenen, indeterminierten Situationen des sich in raschem, ständigem Wechsel befindlichen, alltäglichen Lebens, seinen flüchtigen, kurzen Eindrücken – der rasche Blick eines anderen, eine Geste, ein aufgefangenes Wort im Vorbeigehen, ein Klang in der Flut von Geräuschen – hinter denen verborgen, Schicksale, Kausalitäten, unbekannt und unbenannt bleibende Zusammenhänge.

Bedingt durch den hermetischen Ort seiner akustischen Erscheinung und einer in Fragmenten möglichen Rezeption kann der komplexe akustische Organismus der Groma - Installation, als autonomes und zugleich offenes Werk, in seiner Totalität nicht vollständig rezipiert werden – im Gegensatz zu den abgeschlossenen Konkretionen einer plastischen Skulptur im öffentlichen Raum, einem Gemälde, einer Fotografie oder einer musikalischen Komposition. Dabei weist das akustische Fragment - dessen Existenz vom Rezipienten allein durch den zeitlichen Aufenthalt im HörRaum bestimmt wird - stets auf das Ganze selbst und seine immanente Thematik - die Urbanität. So ist das Fragment zugleich stets auch das Ganze selbst, das in seiner sich permanent wandelnden Totalität jedoch enigmatisch bleibt.

An einem weiteren Ort ist die Klanginstallation Rotterdam in anderer Situation wahr zu nehmen: Der einladende, kleine, gläserne Aussichtsturm neben dem Zugangstreppenhaus Rotterdam führt nicht nach unten in die kilometerlange Garage, sondern lädt ein, ohne Hast nach oben zu steigen - umgeben von hier unerwarteten Klängen und ambienten Geräuschen der Hafenmetropole Rotterdam oder Fragmenten der antiken Texte der Klanginstallation.

Oben auf der offenen Plattform – unter freiem Himmel – angekommen vermischt sich diese räumlich gestaltete, akustische Ebene der Installation mit dem urbanen Geräusch- Ambiente der Stadt Köln – während sich im Rundblick zugleich das faszinierende, audiovisuelle Panorama pulsierenden Lebens der Metropole am Rhein eröffnet: die Marina des Rheinauhafens, der geräuschvolle Autoverkehr auf der Strasse am Rheinufer, in der nahen Ferne der Kölner Dom, Sankt Martin, die Brücken von Köln, ein vorbeiziehendes Ausflugschiff, winkende Passagiere, ein Lastschiff aus dem Hafen von Rotterdam vielleicht, beladen mit Containern aus Übersee und inmitten der hoch aufragenden, gläsernen, neuen Architektur des Stadtteils im Rheinauhafen und – wie eine Erinnerung an eine andere Zeit – die Architektur des noch erhaltenen, schönen Gebäudes des Hafenamtes.

Augen-Blicke, visuelle Eindrücke – begleitet von den sich permanent wandelnden Geräuschen der Stadt am Rhein. Im Herabsteigen dann – im wechselnden Übergang von unbewusster und bewusster Wahrnehmung – erneutes Eintauchen in das akustische Kontinuum der Groma- Klanginstallation, um beim Verlassen ihres subtil komponierten Klangraums wieder ganz umgeben zu sein vom alltäglichen Klangraum der Umwelt.

Begegnungen - Durchdringungen.

Groma – ein neues, urbanes Klanggebilde ist als KlangSkulptur durch ihre permanente Existenz in der akustischen Landschaft der Stadt Köln eine Soundmark, in der ein vielfältig vernetztes, urbanes Bewusstsein – gebildet im Laufe der Zeiten in allen zivilisatorischen Räumen des spaceship earth (Buckminster Fuller)– selbst Gegenstand der künstlerischen Darstellung ist.

"Wo immer wir auch sein mögen,
meistens hören wir Geräusche.
Akzeptieren wir sie nicht, stören sie uns.
Hören wir sie an, finden wir sie faszinierend.“

John Cage, Credo 1938